Geht in die Tiefe: die digitale Transformation von naturenergie netze

So gestaltet naturenergie netze die Digitalisierung: Jonas Bielemeier über die Herausforderungen und Chancen der digitalen Transformation im Stromnetz sowie im Unternehmen.

Die Zukunft ist digital: Seit April 2024 verantwortet Jonas Bielemeier die Digitalstrategie von naturenergie netze. Doch: Was bedeutet die „Digitalisierung“ für einen Verteilnetzbetreiber überhaupt? Über die vielen Facetten der Transformation spricht der 32-Jährige im Interview.

Von Patrick Torma

Der gebürtige Hannoveraner ist seit Anfang 2024 für die naturenergie netze tätig und hierfür eigens in den äußersten Süden Deutschlands gezogen – nach Lörrach, dort, „wo immer die Sonne auf der Wetterkarte eingezeichnet ist“. Doch mehr noch als die sonnigen Aussichten haben ihn die beruflichen Perspektiven nach Südbaden gelockt.

In seiner Rolle möchte der Wirtschaftsingenieur bewusst Brücken schlagen: „Die digitale Transformation erfordert, dass zunehmend größere Anpassungen notwendig werden – und das in verhältnismäßig kurzer Zeit“, erklärt er. „Neben der Zusammenarbeit zwischen Fachbereichen und IT gilt es, alle Kolleginnen und Kollegen mitzunehmen.“

Herr Bielemeier, wie digital ist naturenergie netze schon heute?

Es kommt drauf an. Es gibt Bereiche, in denen wir als Verteilnetzbetreiber bereits digital aufgestellt sind. Daneben gibt es Prozesse, die größtenteils noch ‚von Hand‘ ablaufen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Noch sind manche Abläufe im praktischen Geschäft analog. Ein Außendienstmitarbeiter sammelt beispielsweise Informationen vor Ort und schreibt diese in ein Formular auf Papier, das wiederum von den Kollegen im Büro verarbeitet wird, und so weiter. Auf der anderen Seite gibt es inzwischen eine Reihe von Prozessen im Hintergrund, die weitgehend automatisiert bearbeitet werden. Wie etwa Anfragen in unserem Netzanschlussportal. Deshalb spreche ich lieber von der ‚digitalen Transformation‘. Dieser Begriff veranschaulicht besser, dass es um mehr als nur die Implementierung von IT-Projekten und Nutzung neuer Technologien geht. Vielmehr widmet sie sich ganzheitlich der Neu-Organisation von Arbeit.

Welches sind denn die wichtigsten digitalen Handlungsfelder für naturenergie netze?

Im Wesentlichen gibt es drei Handlungsfelder. Das erste betrifft die Hardware. Also neue Technik, die wir physisch in unserem Stromnetz installieren. Und zwar mit dem Ziel, ein Fundament an aussagekräftigen Daten zu bilden, mit denen wir weitere schlaue Dinge anschieben können – mit Blick auf unsere strategische Netzplanung etwa. Dazu zählen die Ausbringung von intelligenten Messsystemen als Teil des Smart-Meter-Rollouts oder die Installation zusätzlicher Sensorik in Ortsnetzstationen. Das sind Maßnahmen, die uns zu einem Smart Grid, einem intelligenten Stromnetz, hinleiten.

Das zweite Feld umfasst die Software. Schon heute ist eine Vielzahl an Programmen im Einsatz, weitere werden folgen. Dieser bunte Strauß muss zu einer funktionierenden, zukunftsfähigen Systemlandschaft gebunden werden.

Damit der Mitarbeiter vor Ort nicht mehr das Formular ausfüllen muss?

Da landen wir im dritten Handlungsfeld: bei der Prozessseite. Wie bilden wir Abläufe in der Gesamtorganisation des Unternehmens effizient ab? Sie sehen schon – alle drei Felder greifen unmittelbar ineinander.

Als Stromnutzer komme ich eher selten mit meinem Netzbetreiber direkt in Kontakt. Was habe ich davon, wenn sich naturenergie netze digitaler aufstellt?

Gewisse Interaktionspunkte gibt es ja. Beispielsweise wenn Sie eine Erzeugungsanlage ans Netz anschließen und Strom einspeisen möchten, dann teilen Sie dies Ihrem zuständigen Netzbetreiber mit. Unabhängig davon, ob es sich um eine PV-Anlage auf dem Dach oder eine Anlage im Megawattbereich handelt: Je genauer wir den Netzzustand vor Ort abbilden, desto schneller können wir Antworten in der Anschlussprüfung liefern und so einen Anschluss beschleunigen.

Neben der Planung ist die Aufgabe eines Netzbetreibers auch der Betrieb des Netzes. Wie kann Digitalisierung bei dem Betrieb der kritischen Infrastruktur helfen?

An dieser Stelle eröffnet uns die digitale Transformation sowohl ideell als auch technisch neue Möglichkeiten. Die digitale Transformation verlangt eine etwas andere Denkweise. Eine Denkweise, die innovativer, dynamischer vorgeht; in der ich etwas ausprobiere und auch mal Fehler machen kann. Im operativen Bereich muss diese Denkweise jedoch immer im Einklang mit den Sicherheitsansprüchen und Restriktionen unserer Branche stehen. Ganz klar: Wir können nicht am „offenen Herzen“ operieren. Aber wir können in einem entsprechenden, technischen Rahmen arbeiten, der uns hilft, uns als Verteilnetzbetreiber mit dieser Lernkultur vertraut zu machen. Einen solchen Rahmen bietet uns beispielsweise ein ‚digitaler Zwilling‘.

Das klingt nach Zukunftstechnologie. Was versteht man unter einem „digitalen Zwilling“?

Der Begriff „digitaler Zwilling“ wird sehr oft in Zusammenhang mit Digitalisierungsprojekten verwendet. Auch bei uns gibt es verschiedene Arten des digitalen Zwillings: Wenn ich einen digitalen Zwilling als ein virtuelles Abbild der Realität begreife, dann haben wir einen solchen schon lange im Einsatz. Im Grunde handelt es sich bei unserem Leitsystem, in dem die Messdaten der eben erwähnten Mittel- und Hochspannungsebenen zusammenlaufen, um einen digitalen Zwilling.

Ein weiterer digitaler Zwilling, den wir aufbauen, geht tiefer in das Netz und wird tausende Niederspannungsnetze abbilden. Selbst wenn ich viele große Monitore zur Verfügung habe, kann ich nicht alles in Echtzeit darstellen – zumindest nicht so, dass es ein Mensch verarbeiten könnte. Hier sind wir auf einen noch höheren Automatisierungsgrad angewiesen.

Außerdem entwickeln wir mit unseren Partnern in der Primär- und Sekundärtechnik einen digitalen Zwilling eines Umspannwerkes, womit wir in Zukunft Effizienzgewinne beim Umbau von Umspannwerken erwarten.

Über den Autor: Patrick Torma

(Foto: CAMILLO WIZ PHOTOGRAPHY, Camillo Lemke)
(Foto: CAMILLO WIZ PHOTOGRAPHY, Camillo Lemke)

Als freier Journalist und Texter spürt Patrick Torma spannenden Geschichten nach – und bringt sie für Leser auf den Punkt. Zu seinen Auftraggebern zählen Medien und Redaktionsbüros, aber auch Unternehmen, die ihrer Zielgruppe einen Mehrwert bieten. Technische und historische Themen begeistern ihn besonders. Da trifft es sich gut, dass die (Strom-)Netzgeschichten im naturenergie netze Blog beides vereinen.

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