Teil 2 unseres ungewöhnlichen Protokolls aus einem unerwartetem Blickwinkel mit ganz viel Netzgeschichte „spannt“ den Erzählbogen der von uns befragten Ortsnetzstation weiter in die Gegenwart. Parallel zur Energiewende verändern sich für unser Trafohäuschen nun immer mehr Dinge. Es kommt sogar zu derart gravierenden Eingriffen, die es zunächst an seinem Fortbestand zweifeln lassen. Doch unverhofft kommt oft.
von Sonja Sahmer
Diese Einsamkeit ging nicht spurlos an mir vorbei. Also mein Innenleben machte brav alles mit und war am Puls der Zeit. Denn meine anfänglichen Konstrukteure und später die Wartungstechniker waren sehr umsichtig gewesen und hatten mich immer auf dem neuesten Stand gehalten. Aber rein äußerlich ging es mir nicht mehr gut. Ehrlich gesagt: schlecht. Mein Putz blätterte ab, dafür zierten mich seltsame Graffitis, bei denen ich mich immer fragte, was sie bedeuten sollen. Mein Dach war voller Moos und wenn nun mal einer kam, was selten genug der Fall war, ließ sich meine Tür zunehmend schwerer öffnen. Kein Wunder, funktioniert man reibungslos, scheint das kein Lob und noch weniger Aufmerksamkeit wert zu sein.
Teil 1 unseres ungewöhnlichen Protokolls, das aus dem Leben einer Trafostation berichtet, finden Sie hier!
Einige von uns quittieren den Dienst
Und dann kam der Tag der großen Vorzeichen: Meine luftige Freileitung wurde durch eine neue Erdleitung ersetzt, soviel bekam ich schon mal mit. Tagelang hatte ich bereits das Geräuschgewirr von Maschinen und Menschen näherkommen gehört – und mich auf einen möglichen Kabelschaden vorbereitet, um schnell reagieren zu können. Aber: Es passierte nichts. Noch nicht. Bis meine Tür aufging. Oder besser gesagt aus den Angeln gehoben wurde. Vor mir stand eine Containerschaltanlage, so ein neumodisches Ding. Der „Troubleshooter“ unter den Trafostationen. Flexibel einsetzbar. Wohlwollend könnte man sagen: eine Art Urlaubsvertretung für Schaltanlagen wie mich in besonderen Situationen. Was wollte die hier? Ich stand aufrecht, wenn auch optisch etwas abgewrackt da. Aber ich war fit, topfit.
Als ich trotzdem abgeklemmt wurde, war klar: Man verordnete mir eine Zwangspause. Aber warum? Ich hatte doch seit Jahr und Tag fleißig meinen Job gemacht. Bis auf einen Herbststurm, als eine abgerissene Freileitung mich ins Stocken gebracht hatte, war in den letzten Jahren nichts Ungewöhnliches mehr passiert. Mit der Fernwartung und -schalterei lief alles bestens und bislang hatte ich mich auch nicht am „grünen“ Strommix verschluckt. Allerdings hatte ich schon davon gehört, dass sich vor allen bei vielen meiner neuen Ortnetzstationskollegen Erstaunliches tat. Sie waren viel kleiner und kompakter, dabei effizienter und leiser als ich.
Etliche alte Trafohäuschen hätten sogar ihren Dienst quittiert, nachdem man ihnen unweit so einen Jungspund vor die Nase gesetzt und auf diesen ihre Aufgaben übertragen hätte. Einige hätten danach das Zeitliche gesegnet und seien dem Erdboden gleich gemacht worden. Andere würden nun ein ganz anderes Innenleben haben und gar nicht mehr „spannend“ tätig sein. Vor allem ein paar richtig große Kollegen, regelrechte Trafohäuser, viel größer als mein einst so stolz dastehendes Trafotürmchen, hätten ihre Chance ergriffen und noch mal ganz neu angefangen. Als Wohnraum! Sie wären vom Dauerdienstleister zum Netzkunden mutiert. Nein, unvorstellbar. Ich habe hier an dieser Stelle vor Jahrzehnten einen Job angetreten und den wollte und würde ich auch weiter erfüllen. Dumm nur, ich hatte wenig Mitspracherecht bei dem, was nun passierte.
Ein Umstyling wird zur Verjüngungskur
Ich wusste gar nicht wie mir geschah und wurde im wahrsten Wortsinn überrollt. Das Abklemmen kannte ich ja. Soweit so gut. Aber als die meine Technik abbauten, aus mir rausschoben und dann auch noch mein Turm fiel, da sah ich ziemlich abgerissen aus. Ohne Vorwarnung. Ich war regelrecht und sozusagen hin und weg. Außer meiner kleinen Bodenplatte war nichts mehr da – und auch an der machten die sich zu schaffen.
Ich gestehe, da stand ich ganz schön unter Spannung, obwohl ich abgeklemmt war. Und dann schwebte an einem Kran mein neues Outfit, mein zweites Leben heran! Diesmal war ich hin und weg ob meiner Zukunftsaussichten. Das, was da am Kran hing und auf meine Bodenplatte zusteuerte, toppte alles. Ich wurde zwar äußerlich kleiner und kompakter, aber innen moderner als ich je gewesen war – trotz aller Nachinstallationen und Updates der letzten Jahre. Unglaublich: Ich erfuhr ein Umstyling und eine Verjüngungskur! Man hatte mich nicht vergessen. Ich gehörte nicht zum alten Eisen. Man glaubte an mich. Und machte mich zu einer Ortsnetzstation der neuesten Generation.
Das ging alles so schnell, das mir beim Wieder-Anklemmen ganz schön kribbelnd der Strom in die neuen Leitungen und Schalter schoss – aber ich stand wie eine Eins. Deutlich gedrungener als zuvor, aber aufrecht. Und machte dort weiter, wo ich als in die Jahre gekommenes Trafohäuschen aufgehört hatte. Meine Stromwelt war wieder sowas von in Ordnung. Ich spannte erneut ordnungsgemäß vor mich hin und stand wieder unter Dauerstrom. Ich war zurück, kraftvoller als je zuvor!
Meine Zukunft wird „intelligent“ sein
Ich gebe zu, ich habe unverzüglich wieder meine 24-Stunden-Schichten sieben Tage die Woche inklusive Null-Freizeit-Regel aufgenommen und vertragsgerecht erfüllt. Aber gefühlstechnisch brauchte ich doch ein bisschen, um mich von diesem Überraschungscoup zu erholen und in meinem neuen Ich anzukommen. Ganz ehrlich, das Umstyling bei den „Germany’s Next Topmodels“ ist nichts dagegen! Was da an neuester Technologie in mir verbaut worden war, der Hammer. Für Tränen und Drama, weil ich nun nicht mehr hochgewachsen bin, hatte ich deswegen gar keine Zeit.
Ich bin nämlich jetzt nicht nur effizienter, sondern sogar eine „intelligente“ Ortsnetzstation. Das heißt zwar, dass im Normalfall auch jetzt kaum einer meine neuen Türen aufmacht, aber das kenne ich ja nun schon. Aber wenn die sogenannten Smartgrids, von denen man so viel spricht, erst einmal richtig ihre Arbeit aufgenommen haben, dann werde ich eine Menge Unterhaltung, sprich Kommunikation haben. Dafür sorgen so schicke Teile in mir wie ein patentierter SMIGHT Sensor, der meine Stromstärke misst und die Werte alle Viertelstunde verschlüsselt über ein Mobilfunknetz an eine Internet-of-Things-Plattform schickt. Mein Netzbetreiber kann bei Überlast dann blitzschnell entsprechende Maßnahmen im Sinne der Versorgungssicherheit einleiten. Wenn ich da an den alten Schleppzeiger denke, was für ein Quantensprung!
Außerdem gehöre ich zu den ersten Stationen meines Ortsnetzbetreibers, die eine Fernüberwachung per NB-IoT haben. Das ist sozusagen die Fernüberwachung der jüngsten Generation, mehr „state of the art“ geht nicht. Auch hier spielen das Internet und die Kommunikation eine große Rolle. Weil Datentransfer immer wichtiger wird im Netz. Mein Kurzschlussanzeiger wird noch gar nicht richtig geschaltet haben, da ist das kurze Notsignal schon gesendet, das sein Auslösen und damit einen Netzausfall meldet. Ich sage Ihnen, das wird alles noch megaspannend, wenn ich da perspektivisch mit der Verbundleitstelle regelrecht kommunizieren kann. Also hin und her, beide Seiten, die „Supervisors“ und ich. Okay, das dauert wohl noch ein bisschen. Aber diese Aussichten? Was für Möglichkeiten, meinen Beitrag zur Versorgungssicherheit noch datengestützter zu leisten! Ich bin ja so gespannt …
Ein buntes Outfit, das einiges erklärt
Ich plappere und plaudere, haben Sie denn noch Zeit? Denn eine hübsche Anekdote habe ich noch für Sie: Es wurde noch mal Hand an mich gelegt. Nein, keine Sorge, nichts Schlimmes. Erinnern Sie sich, dass ich vorhin erwähnte, auf meinem alten Putz wären so seltsame Graffitis gewesen? Mein neuer Benton-Metall-Mantel wurde nun auch besprüht. Aber nicht in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, sondern hochoffiziell beauftragt von meinem Chef. Mit richtigen Motiven und Botschaften, worum es beim Verteilnetz geht und wie man sich der Region verpflichtet fühlt. Und dass das auch ökologisch und umweltbewusst ginge. Nun bin ich rein optisch so kunstvoll, wie man das immer öfter und quer durch die Republik auch bei anderen ausgewählten Ortsnetzstationskollegen sieht. Ich habe somit einen kleinen Nebenjob erhalten und mache nun PR in eigener Sache bzw. fürs Netz.
Das Sprayen fühlte sich übrigens etwas kitzelnd-komisch an. Aber das Ergebnis? Einfach nur „wow“! Damit habe ich es nach meiner Verjüngungskur ein weiteres Mal in die hiesigen Medien geschafft. Und so ein Blitzlichtgewitter und strahlende Menschen um einen herum … herrlich. Zumal die „Manpower“ bei uns im Verteilnetz immer öfter auch mal weiblich ist. Tut meiner Trafohäuschen-Seele gut, gelegentlich mal zarter angefasst zu werden. Das hat was.
Wie auch der bienenfleißige Blühstreifen um mich, den es in viel umfangreicher bei meinen ganz großen Verwandten, den echten Umspannwerken, vielerorts gibt. Und ich, mit meinem bisschen Grün drum herum, darf nun ebenso blühen und etwas für die Biodiversität und den Artenschutz tun. So sehe ich endlich ein paar der Feldblumen von früher wieder, aus meiner Trafotürmchen-Urzeit. Am Ortsrand. Bei den Feldern.
Weil, alles in allem lebe ich heute doch ein ganz anderes Netzleben als in meinen Anfängen. Aber ich fühle mich genauso lebendig und gut gerüstet für die Netzzukunft wie damals. Ich bin bereit für alles, was die Stromwelt an neuen Herausforderungen für mich bereit hält. Ich sage nur Redispatch. Oder E-Mobilität. Wir sollten uns in ein paar Jahrzehnten wieder treffen. Dann habe ich sicherlich eine Menge neuer Netzgeschichten zu erzählen. Falls ich Sie bis hierhin nicht gelangweilt habe. Mit meinem Verantwortungsbewusstsein und Diensteifer. Im besten Fall aber habe ich Sie davon überzeugt, dass ich den „spannendsten“ Job der Welt habe.
Über die Autorin: Sonja Sahmer
Nach „festangestellten“ Jahren in der Presse- und Öffentlichkeitarbeit machte sich Sonja Sahmer 2010 mit Texterlei als Journalistin, Autorin und Lektorin selbstständig. Neben Magazin-Beiträgen sowie Corporate-Publishing-Projekten textet sie auch für Unternehmenswebsites und -blogs. Mit einer „Schreibe“, die aus Begeisterung entsteht und Lesefreude verspricht. Und von Wissensdurst und Recherchelust zeugt.
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