Außerhalb der Sichtweite: Wenn der Pilot „im Büro“ sitzen bleibt

Die bewaldeten und bergigen Gebiete im Hochschwarzwald sind teils schwer zugänglich: Deshalb stellt ED Netze für Einsätze dort einen teilautomatisierten Multikopter auf die Probe. (Foto: ED Netze)
Die bewaldeten und bergigen Gebiete im Hochschwarzwald sind teils schwer zugänglich: Deshalb stellt ED Netze für Einsätze dort einen teilautomatisierten Multikopter auf die Probe. (Foto: ED Netze)

Ergänzend zur Leitungsbefliegung per Helikopter und Inspektion vom Boden aus setzen die ED Netze schon länger als dritte Option immer öfter Multikopter ein, um den Zustand ihrer Strommasten und Freileitungen regelmäßig zu kontrollieren. Automatisierte Drohnenflüge über längere Strecken ohne direkten Sichtkontakt des „Piloten“ zum Multikopter sind dahingegen Neuland. Ein erster Feldversuch mit einem sogenannten BVLOS-Flug hat gezeigt: Die Technologie eröffnet dem südbadischen Netzbetreiber neue Möglichkeiten.

von Marvin Freiter

Es ist ein sonniger Herbsttag, als ich mit dem Elektroauto zum ED-Netze-Stützpunkt in der Schwarzwald-Stadt Blumberg fahre, um mir ein Bild von dem Vorhaben zu machen. Mit einem Multikopter überprüft der Netzbetreiber heute ein 27 Kilometer langes Stück einer 110-kV-Hochspannungsleitung, das von Blumberg-Zollhaus bis nach Titisee-Neustadt in ein Umspannwerk führt. Das sind mehr als 100 Strommasten mit einer Vielzahl an zu untersuchenden Bauteilen und Leiterseilen.

Warum Freileitungen kontrolliert werden

Hochspannungsleitungen sind sozusagen die „Autobahnen“ für Strom. Sie transportieren den Strom von großen Stromerzeugern (zum Beispiel Kraftwerken) – auch über größere Strecken – zu den Verbrauchern. Sogenannte Trafostationen wandeln die hohe Spannung des Stroms in mittlere und schließlich niedere Spannung. Am Ende der Reise kommt der Strom zum Beispiel in der Steckdose bei mir zu Hause an.

Fließt der Strom aufgrund eines Schadens nicht durch die Hochspannungsleitung, die meine Steckdose und meine Stromquelle – zum Beispiel ein Wasserkraftwerk – verbindet, habe ich keinen Strom. ED Netze arbeitet als Netzbetreiber deshalb immer daran, potentielle Schadstellen an den Hochspannungsleitungen frühzeitig zu erkennen. So beheben sie das aufkommende Problem bereits, bevor es zu einem Schaden und somit einem Stromausfall kommt. Die regelmäßigen Kontrollen sorgen also dafür, dass bei mir zu Hause zuverlässig Strom aus der Steckdose kommt.

Besonders wird das Unterfangen diesmal dadurch, dass die Drohne teilautomatisiert fliegt und zudem außerhalb der Sichtweite des Multikopter-Steuerers. Doch der Reihe nach: Beginnen wir mit den Gegebenheiten.

Neuland in der Luft

Am Stützpunkt angekommen, treffe ich auf Wolfgang Hallensleben. Er ist Netzbetriebsmonteur und kennt jede Schraube des zu kontrollierenden Leitungsabschnitts. Der Fachmann begleitet verantwortungsvoll das Projekt, da er sich nicht nur mit Freileitungen, sondern mittlerweile auch mit Multikoptern sehr gut auskennt und entsprechend qualifiziert ist. Er ist einer der acht ausgebildeten Multikopter-Steuerer von ED Netze.

„Bis jetzt fliegen wir mit den Drohnen nur gezielt Strommasten oder andere Objekte an, die wir kontrollieren wollen. Dabei fliegen wir allerdings immer auf Sicht“, erklärt er mir. Die turnusmäßigen Kontrollen aller Freileitungen führt der Netzbetreiber bis jetzt jährlich zu Fuß und im Zweijahresrhythmus mit einem Helikopter aus. Doch die bewaldeten und bergigen Gebiete im Hochschwarzwald sind teils schwer zugänglich. Deshalb stellt ED Netze nun den teilautomatisierten Multikopter auf die Probe, um zu testen: Ist er die Zukunft der Leitungskontrolle?

Das finale Konzept für den Testflug rund 170 Seiten, ein dicker Ordner voll: Bestimmte Gegebenheiten führen dazu, dass entweder im Vorfeld Genehmigungen eingeholt oder dass beim Flug gewisse Richtlinien beachtete werden müssen. (Foto: ED Netze)
Das finale Konzept für den Testflug hat rund 170 Seiten, ein dicker Ordner voll: Bestimmte Gegebenheiten führen dazu, dass entweder im Vorfeld Genehmigungen eingeholt oder dass beim Flug gewisse Richtlinien beachtete werden müssen. (Foto: ED Netze)

Ganz schön viel Bürokratie

„Für den Testflug haben wir geeignete Dienstleister hinzugezogen“, erklärt Markus Linder, Bereichsleiter Hochspannungsanlagen und Sekundärtechnik bei ED Netze. Zusammen mit Frank Lochau von FlyNex etwa ging es um das komplizierte Genehmigungsprocedere. Er kennt sich genauestens mit den Auflagen für Drohnen-/Multikopterflüge aus und hat sich deshalb um die Genehmigung und das Betriebskonzept des sogenannten BVLOS-Flugs gekümmert.

Was bedeutet BVLOS?

Bei dieser Betriebsart von Multikoptern hat der entsprechende Steuerer (oft auch Pilot genannt) keinen ununterbrochenen direkten Sichtkontakt zur Drohne. Die entsprechende englische Bezeichnung „beyond visual line of sight“ wird in den offiziellen Regelwerken mit BVLOS abgekürzt. BVLOS ist das Gegenteil von VLOS, ausgeschrieben „visual line of sight“,sprich Flüge mit durchgehendem Sichtkontakt.

Der BVLOS-Betrieb eines Multikopter erfordert eine Sondergenehmigung der zuständigen Behörde. Ohne eine gesonderte Betriebserlaubnis sind Flüge außerhalb der direkten Sichtweite in der sogenannten Drohnen-Haftpflicht, die in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben ist, nicht abgedeckt.

Das finale Konzept für den Flug umfasst schließlich etwa 170 Seiten. Bestimmte Gegebenheiten führen dazu, dass entweder im Vorfeld Genehmigungen eingeholt oder dass beim Flug gewisse Richtlinien beachtete werden müssen. So holte Frank Lochau eine spezielle Genehmigung des Regierungspräsidiums Freiburg ein, informierte den nahegelegenen Flugplatz in Blumberg und verständigte andere relevante Parteien. Denn es werden kreuzende Objekte wie zum Beispiel eine Bahnstrecke sowie andere Hochspannungsleitungen überflogen. Weitere Auflagen mussten etwa für das Überfliegen einer Bundesstraße, von Vogelschutzgebieten oder Industriegebieten beachtet werden. Alleine die rechtliche Vorlaufzeit für diesen Flug betrug über vier Wochen.

Spezialisierter Partner des Feldversuchs ist Globe UAV: Von den Unternehmen wird eine zehn Kilogramm schwere Spezialdrohne für den Feldversuch eingesetzt. (Foto: ED Netze)
Spezialisierter Partner des Feldversuchs ist Globe UAV: Von den Unternehmen wird eine zehn Kilogramm schwere Spezialdrohne für den Feldversuch eingesetzt. (Foto: ED Netze)

Alles bereit

Ein weiterer spezialisierter Partner des Feldversuchs ist Jörg Brinkmeyer von Globe UAV. Er ist Steuerer und gleichzeitig Entwickler der zehn Kilogramm schweren Spezialdrohne, die für den heutigen Flug eingesetzt wird. Ihre Kamera ermöglicht 4K-Video-Livestreams und interne Speicherung, dabei beträgt ihre Akkulaufzeit rund 55 Minuten ohne und etwa 20 Minuten bei 3,5 Kilogramm Traglast. Als Sicherheitsmechanismen verfügt sie über einen doppelten Antrieb, zwei Fallschirme (deren Auswurfelektronik elektronisch überwacht wird) sowie vordefinierte Notlandepunkte, falls der Funkkontakt verloren geht.

In einem Besprechungsraum des ED-Netze-Stützpunkts Blumberg hat Jörg Brinkmeyer seine Kommandozentrale aufgebaut. Bereits am Vortag hatte er die Flugroute festgelegt. Innerhalb weniger Minuten definierte er die Wegpunkte und flog die Route bereits ein erstes Mal vorsichtig ab, um nach Hindernissen Ausschau zu halten. Er prüfte, ob die Mobilfunkverbindung im Hochschwarzwald ausreichend ist, um das Live-Video sowie alle Flug- und Umweltdaten zu empfangen, die die Drohne permanent aussendet. In der Luft erweist sich das Mobilfunknetz zum Glück als sehr stabil. Außerdem definierte der Multikopter-Pilot zwei planmäßige Zwischenstopps, an denen der Akku beim offiziellen Feldversuch gewechselt werden soll.

Die „Regie“ sitzt im Büro: Während sich das „fliegende Auge“ per Knopfdruck ferngesteuert auf seinen Flug begibt, werden seine Live-Bilder am Laptop und Großbildmonitor verfolgt und erstausgewertet, um gegebenenfalls eingreifen zu können. (Foto: ED Netze)
Die „Regie“ sitzt im Büro: Während sich das „fliegende Auge“ per Knopfdruck ferngesteuert auf seinen Flug begibt, werden seine Live-Bilder am Laptop und Großbildmonitor verfolgt und erstausgewertet, um gegebenenfalls eingreifen zu können. (Foto: ED Netze)

Hoch hinaus

Lediglich einen Laptop braucht Jörg Brinkmeyer, um das Flugobjekt zu überwachen. So kann er auch die Steuerung manuell übernehmen, falls beispielsweise ein bestimmtes Bauteil der Stromleitung genauer „in Augenschein“ genommen werden soll. Mit einem Knopfdruck startet der Multikopter-Steuerer die acht Rotoren und während sich das „fliegende Auge“auf seinen Flug begibt, können wir die Live-Bilder auf einem Großbildmonitor verfolgen.

Leicht versetzt schwebt die Drohne über das für den Feldtest ausgewählte 27 Kilometer lange Teilstück der 110-KV-Freileitungstrasse dahin. Für mich sehen die Strommasten und Freileitungen alle gleich aus – ED-Netze-Profi Wolfgang Hallensleben jedoch ist jetzt ganz in seinem Element. Immer wieder sucht der Netzbetriebsmonteur die Leitungen konzentriert ab und weist den Piloten an, eine bestimmte Stelle erneut anzufliegen, um sie genauer zu untersuchen. Er erklärt mir: „Aus der Vogelperspektive haben wir die Bauteile aus einem ganz anderen Winkel im Blick. So können wir zum Beispiel vergangene Reparaturarbeiten prüfen.“

Mission geglückt

Nach etwa drei Stunden ist der Einsatz beendet. Der Flug verlief ohne Zwischenfälle und lieferte die von Netzbetriebsmonteur Wolfgang Hallensleben erhofften Aufnahmen.

Das Fazit des Feldversuchs? Mit teilautomatisierten Drohnen könnte ED Netze die Leitungsüberprüfung vereinfachen und gleichzeitig optimieren, um so die Netzsicherheit weiter zu verbessern und die Inspektion von Freileitungen effizienter umzusetzen. Im Gegensatz zu einem Hubschrauber ist die Drohne zudem die umweltfreundlichere und risikoärmere Wahl. „Wir sind uns sicher, dass die digitalen Helfer in Zukunft unerlässlich werden. Den Einsatz von KI, künstlicher Intelligenz, um etwa automatisiert Schadensbilder auswerten zu können, verfolgen wir bereits jetzt schon“, erklärt Markus Linder als zuständiger Bereichsleiter Hochspannungsanlagen und Sekundärtechnik bei ED Netze. So könnte es durchaus dazu kommen, dass die kleinen Flugobjekte künftig regelmäßig wie an einer unsichtbaren Schnur aufgehängt über die relevanten Freileitungen der ED Netze schweben.

Mit ihren Bildern tragen sie dann dazu bei, dass zuverlässig Strom aus meiner Steckdose kommt – oder aus der Ladestation, mit der ich das Elektroauto am Abend dieses spannenden Tages verbinde.

Über den Autor: Marvin Freiter

Marvin Freiter
Marvin Freiter

Marvin Freiter arbeitet in der Unternehmenskommunikation. Dort spielt er unterschiedlichste Themen vorwiegend über digitale Kanäle.
„Die große Themenvielfalt des Unternehmens für die verschiedenen Kanäle entsprechend aufzubereiten, macht mir großen Spaß. Ein besondere Motivation ist dabei die Unternehmensvision, da mir auch privat ein nachhaltiger Umgang mit unserer Umwelt sehr wichtig ist.“

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