Andere Länder, andere Netze? Deutschland, Frankreich und die Schweiz im Vergleich

Nicht überall sehen die Strommasten so aus wie in Deutschland. Ein spannender Vergleich der drei Länder Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Foto: ED Netze GmbH
Nicht überall sehen die Strommasten so aus wie in Deutschland. Ein spannender Vergleich der drei Länder Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Foto: ED Netze GmbH

Wie fließt eigentlich der Strom durch unsere Nachbarländer? Und: „Tickt“ der Netzbetrieb jenseits der Landesgrenzen anders? Wir stellen Deutschland, Frankreich und die Schweiz im trinationalen Netzvergleich gegenüber.    

Von Patrick Torma

Dieser Netzvergleich bietet sich nicht nur aufgrund der geografischen Nähe an: Im erweiterten Drei-Länder-Eck zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz befindet sich die Wiege des europäischen Stromnetzes. 1958 wurden die Stromnetze dieser drei Länder im schweizerischen Laufenburg am Rhein erstmals zusammengeschaltet, um einen grenzüberschreitenden Stromaustausch zu ermöglichen.

Wesentliches Ziel war es, die Versorgungssicherheit in den drei Partnerstaaten zu stärken. Wurde der Strom auf einer Seite knapp, beispielsweise durch Ausfall eines Kraftwerks, ließ sich dies von nun an durch Überproduktionen aus der Nachbarschaft ausgeglichen.

Stromnetze sind seit 1958 „vereint“

Die Geburt des „Sterns von Laufenburg“ markiert den Grundstein auf dem Weg zu einem (kontinental-)europäischen Verbundsystem, an das mittlerweile die Höchst- und die Hochspannungsnetze von über 30 Ländern angeschlossen sind. Weshalb Sie es uns hoffentlich nicht übelnehmen, wenn wir mit einem „Spoiler“ in unseren länderübergreifenden Netzvergleich starten.

Denn: Was die technischen Übertragungswege betrifft, funktionieren die Netze recht ähnlich – erst der synchrone Betrieb sichert einen reibungslosen und günstigen Stromtransfer über längere Distanzen und somit Grenzen hinweg. Für die Einigkeit des angesprochenen Verbundsystems bedeutet das: Durch das europäische Netz fließt Dreiphasenwechselstrom mit einer Frequenz von 50 Hertz.

Die Wiege des europäischen Stromnetzes liegt im malerischen Laufenburg in der Schweiz: Hier wurden 1958 erstmals die Netze der Schweiz, Deutschlands und Frankreichs zusammengeschaltet. Foto: ED Netze GmbH / Markus Edgar Ruf
Die Wiege des europäischen Stromnetzes liegt im malerischen Laufenburg in der Schweiz: Hier wurden 1958 erstmals die Netze der Schweiz, Deutschlands und Frankreichs zusammengeschaltet. Foto: ED Netze GmbH / Markus Edgar Ruf

Netzaufbau: Länge und Architektur

Mit einer Gesamtleitungslänge von rund 1,9 Millionen Kilometern besitzt Deutschland das ausgedehnteste Stromnetz aller drei Vergleichsländer. Davon entfallen 37.000 Kilometer auf die höchste von insgesamt vier Spannungsebenen, die das deutsche Stromnetz zählt: die Höchstspannungsebene mit einer Spannung von meist 220 oder 380 Kilovolt (kV).

Die Höchstspannungsebene ist gleichbedeutend mit dem Übertragungsnetz, das in Deutschland gebietsweise die großen Übertragungsnetzbetreiber Amprion, Tennet TSO, Transnet BW und 50Hertz Transmission verantworten. Diese Vierteilung erklärt auch, warum das deutsche Stromnetz im europäischen Verbundsystem aus der Losung „ein Land, eine Regelzone“ ausschert – in Deutschland sind es deren vier.

Den Löwenanteil des deutschen Stromnetzes machen die drei nachgelagerten Ebenen von Hoch-, Mittel- und Niederspannung aus. Sie liegen in der Verantwortung der Verteilnetzbetreiber. Ihre Rolle schauen wir uns noch an.

Attention, Haute Tension – das Stromnetz in Frankreich

Auf Platz 2 folgt Frankreichs Stromnetz mit einer Gesamtlänge von etwa 1,4 Millionen Kilometern. Dafür ist das französische Übertragungsnetz mit 105.000 Kilometern dreimal so lang wie das deutsche. Was daran liegt, dass das französische Übertragungsnetz, auch Haute Tension B („haute“ heißt „hoch“, „tension“ „Spannung“, kurz: HTB) genannt, Spannungsebenen ab bereits 63 kV einschließt. Insgesamt fächert es sich auf drei Spannungsebenen auf: HTB 1 (63 und 90 kV) sowie HTB 2 (150 und 225 kV) übernehmen die regionale Stromübertragung. HTB 3 (400 kV) übernimmt die Funktion einer landesweiten „Stromautobahn“.

Betreiberin ist die nationale Stromtransportgesellschaft Réseau de Transport d’Electricité (RTE). Sie ist eine Tochtergesellschaft der jüngst verstaatlichten Stromversorgung der Électricité de France (EDF) und wurde Anfang der 2000er-Jahre gegründet, um den EU-Vorgaben hinsichtlich eines vereinheitlichten und liberalen Energiemarktes zu entsprechen.

Zu diesen Vorgaben gehört das sogenannte Unbundling: Dieser Vorgang sieht die Trennung von Stromerzeugung und -vertrieb (klassische Geschäftsfelder eines Versorgers, wie wir ihn heutzutage frei wählen können) sowie dem technischen Netzbetrieb vor. Die Idee dahinter: Indem man den Netzbetrieb aus den natürlich gewachsenen Monopolen der Stromanbieter herauslöst, wird neuen Marktteilnehmern ein diskriminierungsfreier Wettbewerb ermöglicht. Zumindest in der Theorie. Auf die Praxis kommen wir gleich noch zu sprechen.

Aber zurück zur französischen Netzarchitektur: Wer „Haute Tension B“ sagt, muss auch „Haute Tension A“ sagen. Wobei auch die Bezeichnung „Moyenne Tension“ gebräuchlich ist. Dahinter verbirgt sich die Ebene der Mittelspannung (1 bis 50 kV, „moyenne“ = „mittel“). Die Niederspannungsebene, über die der Strom schließlich in die Steckdosen der Haushalte gelangt, heißt im Französischen Basse Tension („basse“ = „niedrig“). Somit kennt das französische Netz fünf Spannungsebenen.

Schweiz: kürzestes Stromnetz, meiste Spannungsebenen

Das Schweizer Netz hat insgesamt sieben Ebenen. Den Unterschied macht die Zählweise: Um „echte“ Spannungsebenen handelt es sich lediglich bei den Stufen 1, 3, 5 und 7. Sie etikettieren die Höchst-, die Hoch-, die Mittel- und die Niederspannung. Die Zwischenstufen 2, 4 und 6 sind sogenannte Transformatorenebenen: Schnittstellen, an denen das „Umspannen“ von einer höheren zu einer niedrigeren Spannungsebene (oder umgekehrt) erfolgt.

Als flächenmäßig kleinstes der drei Vergleichsländer verwundert es nicht, dass die Schweiz über das kürzeste Stromnetz verfügt. Sämtliche Leitungen der Schweiz erstrecken sich über eine Länge von 250.000 Kilometern. 6.700 Kilometer machen das Höchstspannungs- bzw. Übertragungsnetz aus. Dessen Eigentümerin ist die Swissgrid AG.

Hauptsitz der Swissgrid AG in Aarau (CH). Sie ist die Eigentümerin des gesamten Höchstspannungs- und Übertragungsnetzes. Foto: Lantus (Wikipedia)
Hauptsitz der Swissgrid AG in Aarau (CH). Sie ist die Eigentümerin des gesamten Höchstspannungs- und Übertragungsnetzes. Foto: Lantus (Wikipedia)

Verteilnetz: Betrieb und Regulierung

In Deutschland gibt es (Stand 2022) 865 Verteilnetzbetreiber. Hierzulande gilt: Netzbetreiber sind keine Energieversorger! Vielmehr sichern sie die regionale und die lokale Stromversorgung, indem sie die notwendige Netzinfrastruktur bereitstellen und warten, dortige Störungen beheben und die Netze für die Zukunft ertüchtigen.

Auch wenn in den 2000er-Jahren Nachbesserungen erforderlich waren: Insgesamt hat die deutsche Energiebranche die in der EU-Richtlinie 96/92/EG festgehaltene Entflechtung konsequent umgesetzt. Teilausnahmen gelten für kleinere Netzbetreiber, die unter die sogenannte De-Minimis-Regel fallen, wenn sie weniger als 100.000 Kundenanschlüsse verzeichnen. Zwar müssen auch sie unterschiedliche Konten für den Vertrieb von Strom und den Netzbetrieb nachweisen – und allen Stromanbietern einen fairen Netzzugang ermöglichen. Von einer organisatorischen und rechtlichen Trennung sind De-Minimis-Unternehmen jedoch ausgenommen.

Über die Einhaltung der Entflechtungsmaßnahmen (sowie viele weitere Belange, die Deutschlands Stromwirtschaft und andere zentrale Netzökonomien betreffen) wacht die Bundesnetzagentur. Sie ist die oberste Regulierungsbehörde unseres Landes. Um ein Gemeindenetz betreiben zu dürfen, erwerben Netzbetreiber in Deutschland eine Konzession, sprich: ein Wegenutzungsrecht, das auf höchstens 20 Jahre begrenzt ist. Laufen die Verträge aus, muss die Kommune dies öffentlich bekanntmachen, um potenziellen Interessenten die Chance auf ein Angebot zu eröffnen.

In der Schweiz können Netzbetreiber Energieversorger sein   

In der Schweiz existieren rund 630 Verteilnetzbetreiber. Diese hohe Zahl in Relation zum (vergleichsweise) überschaubaren Stromnetz lässt es erahnen: Hierbei handelt es sich vielfach um kleine Unternehmen, die in nur wenigen oder gar nur einer einzigen Gemeinde aktiv sind. Sie können als Energieversorger wie auch als Netzbetreiber auftreten. Nach schweizerischem Stromversorgungsgesetz (StromVG) sind sie aber verpflichtet, „Verteilnetzbereiche mindestens buchhalterisch von den übrigen Tätigkeitsbereichen [zu] entflechten“. Dies überwacht die staatliche Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom.

Auch in der Schweiz gilt: Wer ein Stromnetz betreiben möchte, erwirbt eine Konzession. Kantone und Gemeinden haben „ein diskriminierungsfreies und transparentes Verfahren zu gewährleisten“. Allerdings: Eine Ausschreibung braucht es in diesem Verfahren nicht explizit (siehe Art. 3a des StromVG).

Diese Handhabe mutet „locker“ an, verglichen mit dem, wie man sich in Brüssel einen freien Wettbewerb vorstellt. Dazu ist zu sagen: Die „neutrale“ Schweiz ist als Mitbegründerin zwar technisch ans Europäische Verbundsystem angeschlossen. Als Nicht-EU-Mitglied fehlt ihr jedoch eine institutionelle Anbindung an den europäischen Strombinnenmarkt.

Um ein Stromabkommen wird schon seit vielen Jahre gerungen. Nachdem die Verhandlungen zwischenzeitlich auf Eis lagen, bezweifeln Experten eine rasche Einigung. Eine Hürde stellt aus Sicht der Europäischen Union die nur unzureichende Liberalisierung des Schweizer Strommarkts dar, die nicht zuletzt die privaten Verbraucherinnen und Verbraucher betrifft. Auch wenn es politische Absichtserklärungen gibt: Noch können diese ihren Stromanbieter nicht frei wählen.

Strom- und Netz-Monopole in der Atomnation Frankreich

Diese Freiheit besitzen die Kundinnen und Kunden in Frankreich sehr wohl – wenngleich den französischen Strommarkt bis heute monopolistische Strukturen prägen. Das gilt auch für den Betrieb des französischen Verteilnetzes. Zwar gibt es rund 160 lokale Netzbetreiber, die für gerade mal fünf Prozent des Verteilnetzes zuständig sind. 95 Prozent liegen hingegen in der Verantwortung des Betreiberunternehmens Enedis. Enedis ist eine Tochterfirma der bereits erwähnten Elektrizitätsgesellschaft EDF, die wiederum zentral für die französische Stromproduktion ist. Sie ist Betreiberin aller französischen Kernkraftwerke; die Kernenergie nimmt seit den 1980er-Jahren den größten Anteil am Strom-Mix des Landes ein. Selbst im vergangenen Jahr, als viele Reaktoren aus Wartungs- und Umweltgründen abgeschaltet wurden, waren es 65 Prozent.

Die Commission de regulation de l’energie – das französische Pendant zur Bundesnetzagentur – achtet auf die „Unabhängigkeit der Netzbetreiber“ sowie die „Sicherung des Wettbewerbs“, allerdings vornehmlich „zwischen den Energieversogern zum Nutzen der Verbraucher“. Zwar ist auch der französische Netzbetrieb an Konzessionen gebunden. Jedoch ist umstritten, inwieweit die Vergabe auf einem traditionell staatlich gedachten und nach wie vor von einem großen Verteilnetzbetreiber beherrschten Markt den Anforderungen aus Brüssel hinsichtlich eines freien Wettbewerbs entspricht.

Drei Netze, eine gemeinsame Herausforderung

Die nationalen Gesetze für Netzbetreiber in Deutschland, Frankreich und der Schweiz mögen unterschiedlich ausdefiniert sein. Was sie eint, ist ihre Verantwortung bei der Versorgungssicherheit. Als zentrale Akteure des  Elektrizitätssektors stehen sie in der Pflicht, die Stromversorgung fit für die Zukunft zu machen, sie digitaler und vor allem nachhaltiger zu gestalten. Auch wenn jede Regierung eine eigene Energiepolitik mit eigenen Schwerpunkten und eigenen Herausforderungen „fährt“, so bekennen sich alle drei Länder politisch zum Ausbau erneuerbarer Energien.

Über den Autor: Patrick Torma

(Foto: CAMILLO WIZ PHOTOGRAPHY, Camillo Lemke)
(Foto: CAMILLO WIZ PHOTOGRAPHY, Camillo Lemke)

Als freier Journalist und Texter spürt Patrick Torma spannenden Geschichten nach – und bringt sie für Leser auf den Punkt. Zu seinen Auftraggebern zählen Medien und Redaktionsbüros, aber auch Unternehmen, die ihrer Zielgruppe einen Mehrwert bieten. Technische und historische Themen begeistern ihn besonders. Da trifft es sich gut, dass die (Strom-)Netzgeschichten im ED-Netze-Blog beides vereinen.

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